Hitparade of Australia
Good bye Australia, see ya mate! Mit Sehnsucht werden wir an deine Wärme zurückdenken. An deine erdigen Farben, mit denen du gestaltet wurdest - vor Millionen von Jahren. An die Vogelkonzerte, die uns am Morgen weckten, zum Beispiel der mehrstimmige Gesang der Elstern. An deine würzig duftenden Eukalyptusbäume, die Vielfalt der Wildblumen im australischen Frühling und überhaupt die Fülle schöner, fremder Pflanzen. Im dichten Schweizer Verkehr werden wir deine Strassen vor Augen haben, die schnurgerade am Horizont verschwinden, mit Blei im Fuss und Wind im Gesicht. Ab und zu werden wir uns wünschen, wir könnten durch die Strassen eines Küstenstädtchens im Nirgendwo schlendern, uns in ein sonniges Café setzen und auf das Meer hinausschauen.
Zur Erinnerung schreibe ich eine Best-of-Liste von Orten und Dingen, die uns in Australien aufgefallen sind und die uns fasziniert haben.
Der Gigantismus
Vielleicht reisen deshalb so viele Schweizer nach Australien: Um einmal die grössten Dinge zu sehen, statt die kleinsten.
Zum Beispiel die riesigen Roadtrucks, die einem beim Kreuzen auf der Strasse fast die Windschutzscheibe wegblasen.
Oder die endlosen Strassen, die bis zum Horizont führen, nur unterbrochen von einigen Hügelkuppen. Am Anfang war es ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass man den nächsten Kaffee erst in 250 einsamen Kilometern geniessen kann. Was, wenn mitten im Nichts der Motor stehenbleibt? Ohne Telefonverbindung? Ohne Benzin? Aber ganz alleine ist man ja doch nicht, ab und zu, so jede Viertelstunde begegnet einem ein anderes Fahrzeug.
Die endlosen Weizenfelder: Man stellt sich die Arbeit des Fahrers auf dem Mähdrescher vor und wie lange er für ein Feld braucht. Dabei wird einem schwindlig. Die Strohballenhaufen jedenfalls gleichen jeweils einem auf die Seite gelegten Eifelturm.
Der endlose Busch. Ein Reisender meinte im Voraus: Hast du den Outback einmal gesehen, hast du allen Busch gesehen. Das stimmt nur teilweise. Achtet man auf die Details, so sieht man immer wieder neue Pflanzen. Umherstreifende Emus mit ihren Jungen, wobei es übrigens die Väter sind, die sich um die Kinder kümmern, und Känguruhs, die am Strassenrand äsen. Die rote Erde schimmert und flimmert und irgendwie fühlt man in dieser Weite die eigene Endlichkeit.
Nanga Beach
Ganz im Westen Australiens weist ein verbeulter Pfeil vom Highway nach Denham und Monkey Mia weg zu einem Camping an der Nanga Beach. Eine unscheinbare Strasse führt etwa 15 Kilometer weit zum Meer. Dort scheinen wir in der Kulisse eines Tarantinofilms gelandet zu sein.
Eine Gruppe Wellblechbaracken brütet in der Sonne. Ein Windstoss wirbelt Sand auf. Mittendrin steht die Office, die auch Restaurant, Bottle Shop, Lädeli und Reception ist. Der bärtige Campingwart zeigt uns das beste Plätzchen. Es windet nämlich heftig, deshalb stellen wir das Zelt hinter einer Gruppe mächtiger Eukalyptusbäume auf. Ilias und Lilja bauen mit Schaufel und Rechen ein weitverzweigtes Wegnetz durch die dicke Blätterschicht auf dem Boden.
Kraxelt man über die Düne, erreicht man den meilenweiten, einsamen Sandstrand. Ein paar Möwen landen im türkisen Wasser, hin und wieder bläst einem der Wind Gischt von den Wellen ins Gesicht, viel mehr passiert nicht.
Der Ort, ist schön, einsam und auch etwas melancholisch. Besonders, wenn man in der Nacht in der heissen Quelle sitzt, die aus einem Bohrloch sprudelt, und über sich den Sternenhimmel in seiner kalten Pracht leuchten sieht.
Auf Geisterkrabbenjagd am 14-Miles-Beach
Etwas weiter nördlich, vor Coralbay, biegen wir von der Hauptstrasse in einen ungeteerten Weg ein, Richtung Warroora Homestead. Ein Homestead ist in Australien eine Farm, die manchmal Übernachtungen anbietet oder Campgrounds (oft von Nationalparks) verwaltet. Aus der unbesetzten Réception erreichen wir die etwa 70-jährige Farmerin per Funk. Kurz darauf erscheint sie mit ihrem Allradfahrzeug persönlich. Beim Plaudern erfahren wir, dass sie Herrin über mehrere 1000 Schafe war, die sie im letzten Jahr, wegen jagenden Wildhunden und sinkenden Woll- und Schaffleischpreisen, gegen Rinder tauschte. Dann empfiehlt sie, bei der 14-Miles-Beach zu zelten, dort seien wir am besten geschützt vor dem immer stärker werdenden Wind.
Das tun wir und schlagen unser Zelt hinter einer einige Meter hohen Düne auf.
Farbe und Konsistenz des feinen Sandes erinnern an Schnee. Dann springen wir in das türkise Meer und halten Ausschau nach dem Tigerhai, der darin seine Runden dreht. Der Strand ist menschenleer, von den wenigen weiteren Gästen, die verstreut über mehrere Kilometer campen, bekommen wir bei unserem Aufenthalt nichts zu sehen.
Bei Sonnenuntergang entdecken wir, woher die seltsamen Spuren im Sand stammen. Tausende von Krabben kriechen aus ihren Löchern zum Meer, lassen sich von den Wellen überrollen. Sie sind auf der Suche nach Essbarem. Grosse rote weniger ängstliche Krabben und kleinere schwarze Krabben, die wie Schatten oder eben Geister seitlich über den Sand schweben. Die ganze Nacht bleiben sie wach, bis es ihnen nach Sonnenaufgang zu heiss und gefährlich wird.
Später sitzen wir auf unseren Campingstühlen, bei fast totaler Stille, und schauen uns den Sternenhimmel an. So viele Sternen haben wir alle noch nie gesehen. Hell leuchtet über uns die Milchstrasse. Bei jeder Sternschnuppe wünschen wir uns etwas. Was? Das darf man nicht verraten.
Karijini Nationalpark
Vor Millionen von Jahren, als noch alle Kontinente als Urkontinent Gondwana zusammenhingen, war Australien von Regenwald überzogen. Unterdessen ist der Kontinent abgedriftet und ausgetrocknet. Aber ein kleiner Überrest des Regenwaldes existiert noch, in den tiefen Schluchten des Karijini Nationalparks.
Uralte Hügel, Millionen Jahre vor den Alpen entstanden, ragen aus der Ebene empor. Heiss ist es und stickig. Die Fliegen umschwärmen uns beim Zelt aufstellen. Schon erschöpft steigen wir die Stufen in einen Canyon hinab. Sofort wähnen wir uns als Figuren in Minecraft, dem Lieblingscomputergame von Ilias und Lilja.
In dem Spiel kann man aus quadratischen Blöcken eine Welt erschaffen und verändern (ähnlich wie bei Lego). Um uns herum stapeln sich rote Minecraftblöcke zu einer steilen Schlucht. Ganz unten folgen wir dem Flüsschen entgegen der Fliessrichtung und erreichen einen Pool, kühl und türkis, umgeben von Farnen und Büschen in einem roten Steinkessel. Was für ein herrliches Bad! Und ziemlich sicher habe ich eine zarte Fee mit schillernden Flügeln kichernd davonschweben sehen.
Für ein paar Tage streifen wir den Flussläufen entlang, klettern durch Schluchten, baden in allen Pools mindestens einmal und springen von Felsen zu Felsen. Oben ist Wüste, unten sind Schatten und kühles Wasser, ein grüner Blätterwald und eine vielfältige Tierwelt.
Der Karijini Nationalpark gehört den Aborigines und wird von ihnen verwaltet. Auf dem Campingplatz arbeiten allerdings nur Weisse. Der Park ist für die Aborigines ein heiliger Ort. Ob es ihnen gefällt, dass er von den Touristen genutzt wird? Immerhin wurde bisher keine Mine im Park (nur am Rande) gebaut. Wenig Rücksicht wurde bei der Namensgebung auf die ersten Bewohner genommen. So wurde der höchste Berg in der nahen Stadt Tom Price von den weissen Einwanderern Mount Nameless (!!!) getauft, ohne Rücksicht auf den Aboriginesnamen: Jarndunmunha.
Esperance
Das Städtchen im Süden von Westaustralien wurde nach einem französischen Schiff benannt, welches hier im 17. Jahrhundert gelandet war. Auf was die Entdecker hofften, ist nicht klar. Die Hoffnung, die südlichen Stürme zu überleben? Oder die Hoffnung, auf Schätze oder fruchtbares Land zu stossen?
Ob ihre Hoffnung erfüllt wurde, weiss ich nicht. Weizen gibt es viel um Esperance. Aber das Klima ist rauh. An einem Tag ist es 40 Grad warm, dann frischt der Wind auf, plötzlich ist es bloss noch 12 Grad kühl und man zieht Jacke, Schal und warme Socken an. Schätze? Zumindest bietet Esperance einige der schönsten, weissesten Strände, die wir je gesehen haben, und das will was heissen.
Die Lucky Bay hat den australischen Wettbewerb um den weissesten Sand gewonnen und ausnahmsweise gibt's hier sogar ein kleines feines Strandcafé. An der Twillight Bay kann man zum grossen Walfischfelsen schwimmen, hinaufklettern und mit genug Mut hinunterspringen.
Vermutlich ist abseits der Saison nicht viel los im Städtchen. Das Angebot ist nicht riesig, aber die feinsten Fish und Chips als Weihnachtsessen finden und geniessen wir.
Die Durchquerung der Nullabor Plain
Am 24. Dezember setzte der grosse Sommerferientrubel der Australier endgültig ein. Campings und Hostels sind bis zur letzten Hundehütte ausgebucht. Zeit für unsere Flucht. Zeit, um die lange einsame Strecke zwischen Norseman und Adelaide unter die Räder zu nehmen, 1972 Kilometer durchs Nichts der Nullarborwüste.
Nichts ist die Wüste aber nicht. Die Landschaft ist zwar so flach, dass man die Erdkrümmung an den am Horizont "untergehenden" Wolken erkennen kann. Aber Bäume, Büsche und Blumen ändern sich immer wieder. Mal erwartet man eine Herde Giraffen und Elefanten, weil die Landschaft einer Steppe gleicht.
Mal könnte man an der Küste im englischen Cornwall stehen, wenn die Ebene auf das Meer trifft und man die Brandung von den steilen Klippen aus beobachtet.
Mitten in dieser Landschaft, in der nicht viel passiert, hängen wir unseren Gedanken nach, denken an Vergangenes und fantasieren über die Zukunft. Und irgendwann denkt man nichts mehr - ist nur noch, wie die Büsche, Steine und Tiere.
In Madura, einem von acht möglichen Roadhouses entlang der Strecke durch die Wüste übernachten wir im Motel, sehen den Regen heranbrausen. Und dann, am Heiligabend spannt sich ein leuchtender Regenbogen über den Himmel.
Am Weihnachtstag springen zwei als Weihnachtsmänner verkleidete Polizisten aus dem Busch und lassen David, den Fahrer, ins Rörli blasen. Das Ergebnis ist Null, zum Glück. Das Röhrli gibts als Geschenk.
Was ist, wenn die Polizei einen besoffenen Fahrer rauspickt? Auto stehen lassen und... und dann? Immer mal wieder entdecken wir entlang der Strasse abgestellte Autos. Die einen noch gut im Schuss, die anderen am Rosten, die dritten nur noch Wracks.
Nach zwei Tagen Geradeausfahrt lösen wieder Weizenfelder die Wüste und den Busch ab. Hin und wieder weisst ein Pfeil zu einer Farm. Wir haben es geschaft und kaufen einen Kleber: "We crossed the Nullabor!" – für unser Velo.
Adelaide
Nach so viel Nichts, Natur und Einsamkeit freuen wir uns über eine Stadt. Von Beginn weg finden wir Adelaide hübsch. Herzige Holzhäuser im englischen Stil, viele Parks umgeben von Hügeln, schöne Strände. Die Adelaider sind stolz darauf, dass sie von freiwillig Ausgewanderten abstammen und nicht von Sträflingen, wie zum Beispiel die Australier in New South Wales.
Wir dürfen Freunde besuchen. Margreth, Brieffreundin meiner Mutter seit mehr als 50 Jahren und ihr Mann Colin nehmen uns wie eigene Kinder auf und verwöhnen uns mit feinen Mahlzeiten, Gesprächen und eigenen Zimmern.
Thomas, der ausgewanderte Kollege von David aus der Metallarbeiterschule lädt uns zum Barbecue ein. Thomas hat zwei Söhne im gleichen Alter wie unsere Kinder. Das Treffen ist lustig, wir verstehen uns gut und treffen uns wieder für Wanderungen und Kajakfahrten.
Neujahr feiern wir am Strand, in Shorts, und geniessen das prächtige Feuerwerk über dem Meer. Wir besteigen den Mount Lofty, den Üetliberg Adelaides und streifen durch den Botanical Garden.
Und wir beschliessen, Adelaide als Ziel zu wählen, wenn wir jemals nach Australien auswandern.
Die Australierinnen und Australierer
Kleine Anmerkung. Die meisten Australier unterscheiden zwischen Australiern und Aborigines. Die beiden Gruppen mischen sich nicht so recht. Eigentlich sind Aborigines für mich mehr Australier, als die Neuzugezogenen. Man kommt aber nicht leicht in Kontakt mit der Urbevölkerung. Ihr Leben scheint schwierig zu sein, mit hoher Arbeitslosigkeit und Alkoholproblemen.
Und auch die in den letzten 300 Jahren eingewanderten Menschen sind ein Potpourri aus allen Kontinenten der Welt. Noch nie habe ich soviele verschiedene Gesichter gesehen, wie in einer australischen Stadt. Deshalb ist auch das Angebot an Restaurants in den Städten gross, ganz verschieden und gut.
Die meisten Leute in Australien sind offen, warm und freundlich. "Hello, Guys!" oder auch "Hey Sweetheart!" sind mögliche Begrüssungen im Supermarkt, in der Post oder im Café. Der Nachname ist nur auf Formularen gefragt. Die Umstellung ist nicht ganz einfach. So dauert es eine gewisse Zeit bis wir auf die Begrüssungsfloskel "How are you going?" nicht mehr mit "I am fine, and you?" reagierten.
Leicht wird ein Gespräch gestartet, die Leute sind neugierig, woher wir kommen. Und meistens erzählen sie dann von ihrer eigenen Reise in die Schweiz oder zumindest nach Europa. Wir staunen über die Reisefreudigkeit der Australier. Noch nie fanden wir in Zeitungen derart viel Werbung für teure Reisen.
Nach den Reisen ist oft die Herkunft des Gegenübers das nächste Gesprächsthema. Auf den Grossvater, der aus Schottland kam. Oder die neuseeländische Mutter, die mit dem englischen Vater eingewandert ist. Ihre Wurzeln sind den weissen Australiern wichtig. Schliesslich sind nur die wenigstens Familien schon länger als ein oder zwei Generationen auf dem kleinsten Kontinent zu Hause.