Zehntausend Kilometer auf leeren Strassen
Wir fahren links und weit, mal 150 Kilometer geradeaus, mal über Sand und ausnahmsweise auch durchs Wasser.
Statt ein Auto zu mieten, was pro Monat um die 3000 Franken kosten würde, haben wir für unsere Reise durch Australien ein Auto gekauft. Einen 16-jährigen Pajero von Mitsubishi. Mit 310 000 Kilometern auf dem Tacho. Ein guter Kauf, wie sich herausstellen sollte. Inklusive zweier kleinerer Reparaturen, kostete uns das Auto bisher knapp 5000 Franken, Versicherungen inbegriffen. Wieviel wir dafür vor unserer Ausreise wieder erhalten, ist offen. Aber wir sind zuversichtlich. Den Begriff "Pajero" verbinden viele Australier mit Qualität. (Andere addieren zu Mitsubishi noch den Buchstaben T am Ende, was dann aus "shi" ein "shit" werden lässt. Die kommen als Käufer für das Grüne Monster nicht in Frage, ist ja klar.)
Papierkram gab es für den Kauf wenig zu erledigen. Vertrag unterschreiben und den Wagen auf dem Strassenverkehrsamt ummelden. Das wars. Eine Versicherung abzuschliessen war nicht notwendig, die läuft auf das Nummernschild und kann auf jeder Poststelle für drei Monate oder ein Jahr verlängert werden. Darüber hinaus lösten wir für 120 Dollar noch eine Zusatzversicherung, für den Fall, dass bei einem Unfall das Gegenüber nicht versichert wäre, oder das andere Auto ein ganz teures wäre. Zwar haben wir uns schon in Bali im Linksfahren üben können – trotzdem passiert es hie und da, dass der Fahrer auf die in Europo übliche Strassenseite abbiegen will. Zum Glück schreien die aufmerksamen Mitfahrer dann jeweils: "Das ist die falsche Seite!"
Einen Sechzylinder mit 3,5 Litern Hubraum habe ich noch nie gefahren. Und ich muss sagen: Schon noch toll. Da galloppieren die Pferde, wenn man aufs Gaspedal drückt. Dafür trinkt das Ross auch 14 Liter Benzin pro 100 Kilometer. (Der Preis im Bild ist nicht repräsentativ, so viel kostete der Most nur mitten in der Wüste.) Platz hat es im Pajero für bis zu sieben Personen, doch die beiden hintersten Sitze lassen wir hochgeklappt, dazwischen bauten wir aus Holzresten einen "zweiten Boden" ein, unter dem wir das Campingmaterial und auf dem wir unsere anderen Habseligkeiten verstauen. So können wir bei einem kurzen Stopp die Klappsitze herausnehmen, ohne deswegen auch die Regenjacken hervorklauben zu müssen.
Die Regenjacken nämlich haben wir auf unserer Rundreise durch Westaustraliens Nordwesten und Süden und durch die Nullarbor-Wüste nie gebraucht. Ausgerechnet in der Wüste regnete es zwar, und auch während unserer Fahrt durchs Landesinnere. Lange dauerten die Regenfälle aber nie und ausserdem war es gleichzeitig so warm, dass die Kleider kaum einmal richtig nass wurden. Hingegen sind Hüte mit Fliegennetz zu empfehlen. Da und dort gibt es derart viele dieser Biester und sie sind dermassen aufdringlich, dass ein wenig erzwungene Distanz Balsam für die Nerven ist.
Übernachtet haben wir bis auf einige Nächte um Weihnachten immer auf Campingplätzen. Im Zelt, wohingegen die Australier meist mit Caravan oder Campinganhänger unterwegs sind. Zelt und Tisch und Stühle und Kochausrüstung gibts für praktisch kein Geld in jedem Einkaufszentrum. Wobei wir den Kocher schliesslich nur selten nötig hatten. Fast alle Campingplätze in Australien verfügen über ein ausgezeichnet eingerichtete Küche mit Grillplatte, Herd, Wasserkocher und Toaster. Anzumerken ist noch, dass ein Zelt entlang der Westküste IMMER gut zu vertauen ist. Der Wind bläst hier meist stark, böig und an gewissen Tagen ohne Ende. Besser also, man wählt ein Zelt mit kurzen Stangen und muss es nicht, wie bei gewissen Mietfahrzeugen vorgesehen, auf dem Fahrzeugdach aufstellen.
Es gibt in Australien aber auch sehr viele ganz einfach eingerichtete Campingplätze. Da steht dann einfach eine an einem Pfosten befestigte Kasse, wo man so um die 20 Dollar reinwirft. Oder ein Schild weist darauf hin, dass man sich auf der nahen Farm anzumelden hat, bevor man das Tor zum kilometerlangen Sandstrand mit nur ganz wenigen Menschenseelen öffnet. Da lebt sich dann einsam und alleine, rings ums Auto liegt ein Quadratkilometer grosser Spielplatz, über dem Zelt leuchtet in der Nacht das Kreuz des Südens und die Milchstrasse.
10 000 Kilometer sind wir mittlerweile in Australien gefahren, selten mit mehr als 90 Stundenkilometern, was um die 130 Fahrstunden ergibt. Die meisten Strecken lassen sich bequem mit dem Tempomaten zurücklegen, das entlastet den Gasfuss. Bremsen muss man manchmal, weil plötzlich ein Känguruh am Strassenrand steht, oder eine Emufamilie. Ansonsten passiert auf den Überlandstrassen meist wenig, so alle zehn Minuten sieht man weit vorne ein Auto oder Lastwagen auftauchen und ganz langsam näher kommen, man grüsst sich im Vorbeifahren und ist danach wieder alleine unterwegs. Überraschungen gibt es: Zum Beispiel wenn einem mitten in der Wüste ein Polizeiauto in voller Weihnachtsbeleuchtung anhält und ins Röhrchen blasen lässt. Oder wenn einem gleich drei Autos dicht hintereinander entgegenkommen, was dann nur mit "Verkehrsüberlastung" beschrieben werden kann.
"Wer den Outback einmal gesehen hat, der hat ihn gesehen und braucht nicht noch einmal da hinzufahren", erzählte uns ein Amerikaner mit viel Australienerfahrung in Bali. Oh nein, da wird uns die Zeit sicher lang, auf den 300 Kilometer langen Strecken zwischen unseren Zielen in Westaustralien, dachten wir. Doch weit gefehlt. Langweilig wurde es uns auch nördlich von Geraldton und im Landesinnern von Newman zurück nach Perth nur selten. Die Kulisse rings ums Auto wechselt zwar nur ganz langsam, aber stetig. Mal war die Erde gelb oder braun oder rot, mal der Sand weiss wie Schnee oder grau, mal waren die Felsen schroff, mal abgeschliffen. Mal stand das Gras hüfthoch in Büscheln, mal bodenbedeckend, aber vertrocknet. Mal waren die Büsche kahl und vom ständigen Wind gebeugt, mal leuchteten frische Blätter von hohen Ästen.
In Outback und Busch und an einsamen Küsten fanden wir vielerorts Gründe zum Schauen und Staunen. Im Karijini Nationalpark etwa blickten wir in Schluchten aus der Welt ältestem Gestein auf deren Grund nach wie vor Pflanzen aus dem Regenwald überleben, obwohl 100 Meter höher schon vor Millionen von Jahren eine Wüste entstanden ist. An der 14-Miles-Beach bei Warroora hielten wir tagsüber Ausschau nach dem dort wohnhaften Tigerhai und sahen mit dem Sonnenuntergang tausende von Krebsen aus ihren Löchern krabbeln. Und vom höchsten Berg Westaustraliens Knox Bluff aus blickten wir gegen 40 Kilometer weit übers umliegend flache Land mit seinen riesigen Weizenfeldern und den umfassenden Baumreihen.
Weizen wird in Australien in rauhen Mengen produziert. Von den Feldern wird er mit 60-Tönnern zu Depots gefahren, von dort in Eisenbahnwagen an die Küste transportiert und schliesslich mit Frachtschiffen in die ganze Welt verkauft. Die endlosen Weizenfelder mit den grossen Farmen und seltenen kleinen Dörfern zwischen Perth und Geraldton und zwischen Bunburry und Norseman liessen bei uns viel stärker mehr Langeweile entstehen, als die endlosen "ungenutzen" Flächen nördlich und östlich davon. Wobei ungenutzt der falsche Ausdruck ist, weil darauf oft Schafe oder Rinder gehalten werden. Ob Weizen oder Fleisch: Viel Farmer kämpfen ums Überleben. Einige Cent mehr oder weniger Ertrag pro Tonne Weizen können über die Zukunft eines Bauernhofes entscheiden und wilde Hunde – nicht Dingos! – einer generationenalten Schaffarm den Garaus machen. Nur den Rinderfarmern geht es aktuell besser. Nachdem viele Betriebe aufgegeben wurden, legten die Fleischpreise zu.
Bauernhöfe hätten wir praktisch überall auf unserer Fahrt kaufen können: "For Sale" stand fast noch öfter auf Tafeln entlang der Strasse als "Next 74 km: Kangoroos and Emus on Street". Auch Häuser wurden allerorts angeboten. Grosse schöne und grosse hässliche, beide gleichermassen zu teuer. Nach jahrelangem Boom wird Westaustralien gerade von einer Wirtschaftskrise geschüttelt, weil die Rohstoffpreise auf den Weltmärkten im Keller sind. Bald sind Wahlen und entsprechend heftig wird über die Zukunft gestritten. Sollen Minengesellschaften mehr Steuern bezahlen oder weniger, sollen mehr Strassen gebaut werden oder weniger und wo darf öffentlich Alkohol getrunken werden und wo nicht?
Die Qualität der Strassen ist allerorts ausgezeichnet – der Unterhalt ist entsprechend teuer und darum ein Wahlkampfthema. Ob mitten in der Hauptstadt Perth, ob auf 300 Kilometer langen Überlandstrassen oder auf einer Seitenstrassen in einen Nationalpark. Schlaglöcher gibt es praktisch keine, links und rechts des Asphaltbandes sind breite Streifen von jedem Bewuchs befreit, damit der Fahrer Känguruhs, Schafe und Emus ausmachen kann, bevor sie auf die Strasse springen. Nachts fährt man trotzdem besser nicht, im Dutzend liegen die Kadaver toter Tiere entlang der Strasse. Die Roadtrains, die Lastwagen mit 60 Tonnen Fracht, stoppen für sie nicht und sind immer unterwegs, wenn der Chauffeur keine gesetzlich verordnete Pause einlegen muss.
Wir machten öfter Pause. Meist fuhren wir an einem Tag zwischen 200 und 500 Kilometer weit und blieben danach einige Tage am selben Ort. Von da aus unternahmen wir dann kleinere Ausflüge, wobei auch diese schnell 100 weitere Kilometer auf den Zähler bringen. Dieser Wechsel zwischen Fahrtagen und Pausetagen hat sich bewährt, weil ohne genügend Bewegung Eltern und Kinder gleichermassen "uliidig" zu werden drohen. Wollten wir trotzdem einmal längere Distanzen an Tagen hintereinander zurücklegen, halfen uns Hörspiele von den drei Frage- und Ausrufezeiche, von Philip Maloney und Musik aus aller Welt die Zeit im Auto ertragen. Das Radio alleine wäre keine Hilfe, da vielerorts gar kein Radio empfangen werden kann.
Vorläufiger Höhepunkt der Fahrerei war die Durchquerung der Nullarbor-Wüste von Norseman nach Ceduna während der Weihnachtstage. Auf 1500 Kilometern kamen uns nicht mehr als 300 Fahrzeuge entgegen, in den Motels der Roadhouses entlang der Strecke begegneten wir stets denselben Reisenden, die in derselben Richtung unterwegs waren. Stellenweise führte die Fahrt der Küste entlang, andernorts verlief sie weiter drin entlang einer Klippe aus einem anderen Erdzeitalter. So flach war das Land zeitweise, dass wir die Wolken hinter dem Horizont untergehen sahen. Und von einem Ort aus verlief die Strasse über 140 Kilometer schnurgerade: Das längste gerade Strassenstück der Welt stand da geschrieben. Eineinhalb Stunden lang hätten wir das Steuerrad festschweissen können, ohne vom Asphalt abzukommen.
Eins allerdings war es in der Wüste nicht: Trocken. Während der dreier Tage unserer Durchquerung regnete es immer mal wieder. Am zweiten Tag regnete es gar Bindfäden während mehrerer Stunden. Und zurück in der Zivilisation, im trockensten Südaustralien, fegte ein Regensturm unser Zelt um. Wir hatten aber einmal mehr Glück. Eine australische Familie lud uns ein, in ihrem Ferienhäuschen zu übernachten. Wir waren froh. Am anderen Morgen trocknete das Zelt an der Sonne schnell und wir machten uns auf zu Freunden nach Adelaide.
Bald schon wird der Reiseabschnitt mit dem Pajero zu Ende sein. Er war uns ein guter Kamerad. Öl und Kühlwasser nachzufüllen brauchten wir praktisch nicht. Der Motor scheint also in Ordnung. Getankt haben wir ca. 1500 Liter Benzin zu einem Durchschnittspreis von etwas mehr als einem Franken. Gesetzt der Fall, wir können den Wagen wieder für 3000 Franken verkaufen, was realistisch scheint, waren wir quer durch Australien gut und günstig unterwegs.