Vier Jahreszeiten unter der weissen Wolke
Neuseelands Norden ist flach, grün und selbst im Sommer kühl – besonders in diesem Sommer. Im Meer schwammen wir trotzdem, einmal wars sogar richtig heiss.
Einen groben Fahrplan für unsere Weltreise gab es zwar. Geplant haben wir aber immer nur den nächsten Schritt, nie den übernächsten. Und für die Zeit nach unserem dreimonatigen Australienbesuch war da überhaupt kein Plan mehr. Direkt in die USA weiterfliegen, ein Abstecher nach Südamerika – oder doch ein Zwischenstopp in Neuseeland?
Wir entschieden uns schliesslich für die Insel am anderen Ende der Welt. Weil wir schon so viele Flugkilometer investiert hatten, weil wir da nicht gerade wieder vorbeikommen würden, weil es auf unserem Weg lag. So landeten wir denn ohne Plan in Neuseeland und liessen uns einfach so treiben.
Neuseeland ist eine der Inseln, die der Mensch erst sehr spät besiedelte, im 11. oder 12. Jahrhundert nach Beginn der Zeitrechnung. Wobei Irrtum vorbehalten, möglicherweise ist von einer früheren Besiedlungen einfach nichts mehr übrig.
Der weisse Mann war für einmal also nicht der erste Kolonisator, sondern der zweite, nachdem bereits die Maoris Neuseeland von den polynesischen Inseln her entdeckt und besiedelt hatten. Viel besser umgesprungen mit der Natur sind die Maoris nicht, schon sie schlugen grosse Teile der Insel kahl. Den Rest besorgte dann der Holzhunger der Industrialisierung.
Auch rotteten schon die Maoris einige Tierarten komplett aus, ein grosses Beuteltier und einen Riesenvogel etwa. Einige letzte Reste Urwald blieben erhalten, die riesigen Farne und ebensolche Kauribäume sorgen bei uns zusammen mit einigen farbigen Vogelarten für ein Masoala-Hallen-Gefühl. Den Kiwi-Vogel, das Wappentier Neuseelands, allerdings haben wir real nie zu Gesicht bekommen, wir begegneten dem scheuen Nichtflieger nur auf Plakaten und Informationstafeln.
Von Sydney her kommend übernachteten wir zuerst in Auckland, der grössten Stadt Neuseelands, im oberen Drittel der Nordinsel gelegen. Übermässig viel Aufregendes gibt es hier zwischen den Häusern nicht zu entdecken, die Schönheiten Neuseeland liegen fast alle ausserhalb der Städte.
Auckland liegt auf und zwischen etwa 50 erloschenen Vulkanen, wie überhaupt Aotearoa, die Insel der langen weissen Wolke, so nennen sie die Maoris, manchenorts von älteren und neueren Vulkanen geprägt ist. Der ehemalige Vulkan Mount Eden liegt mitten in Auckland und bietet Ausblick auf den Pazifischen Ozean, Buchten und Inseln. An seinem steilen Fuss liegt ausserdem ein gleichnamiges kleines Quartier mit netten Restaurants und Läden.
Am anderen Ufer der Insel, am Tasmanischen Meer, zeigte uns der Strand Pahia seine wilde Seite, in einem Nebel- und Regenschleier. Auf und ab führt die Strasse dahin, mit vielen Kurven links und rechts. Neuseelands Norden ist ausserordentlich hügelig und von Tälern durchzogen, die immer quer zu den Verbindungen direkt dem Meer zustreben.
Land- und Forstwirtschaft und selbstverständlich auch die Fischerei sind hier neben dem aus- und inländischen Tourismus die Hauptwirtschaftszweige. Grosse Holztransporter begegnen uns allenthalben, auch Kahlschläge und Wiederaufforstungen mit schnell wachsenden Kiefern.
Regelmässig fühlten wir uns auf unserer Fahrt wie auf einer Jurahöhe oder wie im Appenzellerland oder im Schwarzwald gar. Gebrochen wurde der Eindruck meist sofort – von einem Stücklein Meer, das irgendwo um die Ecke blinkte.
Der Sommer auf der Nordinsel sei viel kühler als üblich, berichteten uns Neuseeländer, die wir auf einem Campingplatz oder einem Schiff trafen oder mit denen wir am Tisch ihres Hauses zusammensassen. Und im Süden, also auf der Südinsel, sei der Sommer gar desaströs. Wir fühlten uns wie in einem Schweizer Sommer mit viel Wind und Wetterwechseln.
Man könne in Neuseeland vier Jahreszeiten an einem Tag erleben, heisst es in einem Werbespot für Autos, den wir am Fernsehen sahen. Diese Behauptung können wir bestätigen. Es stürmte dann und wann, meist wenn wir einen Ort gerade verlassen hatten – wir lasen es im Internet. Wir schwitzten zwischendurch, beim Aufstieg auf ein 300 Meter hohes Berglein, wir froren zeitweise, am frühen Morgen oder am späten Abend, und einige Male rochen wir den Herbst.
Während der drei Wochen drehten wir erst nördlich von Auckland einen Kreis im Gegenuhrzeigersinn. Wir trafen auf Janine und Jeff, die wie wir aus der Schweiz zu Gast waren, und die wir auch in Winterthur sehr und schon lange schätzen. Hey wie war das schön, bekannte Gesichter zu sehen, einige Male geplant und ein Mal aus purem Zufall. Wobei: Neuseeland ist klein, wir trafen auch andere Reisende zum Teil mehrfach wieder.
Wir schifften auf Inseln, trafen im Urwald auf den mit 2000 Jahren wahrscheinlich ältesten Kaori-Riesen, liefen über endlos-perfekt-weiss-endlose Strände und liessen auf einer hölzernen Terrasse bei einem Glas Rotwein den Blick über Weizenfelder und Kuhherden schweifen.
Wir freuten uns am Werk eines Mini-Tinguelys mit Maschinen, die allesamt in irgendeiner Form Wasser bewegen oder vom Wasser bewegt werden. Wir tauchten ins Wasser und sassen darin, einmal unter vom Wind getriebenen grauen Wolken bei gefühlten 10 Grad und einmal bei über 30 Grad unter strahlend blauem Himmel. An einem Strand im Nordosten nämlich strömt lavageheiztes Wasser unterirdisch aus einem Felsen und direkt in den Sand am Meer. Da gruben wir wie hundert Andere einen Pool und zuckten und entspannten uns darin im Wechsel zwischen zu heiss und zu kalt.
Den Abschluss nahm unser Kurzbesuch auf Neuseeland in dem mittig auf der Nordinsel gelegenen Rotorua und einem Vulkantal ganz in der Nähe. Ganz eigenartig, wenn in einer Stadt grosse Landstücke abgesperrt sind, weil aus Gruben grauer Schlamm und übel riechende Dämpfe blubbern. Da kann man auf dem Heimweg vom Abendessen die Füsse ins heisse Becken strecken und den Schwips aus lokal gebrautem Bier und Cider noch eine Weile lang nachklingen lassen.
Einige Kilometer weiter entstand vor etwas über hundert Jahren nach einem Vulkanausbruch ein ganzes Tal neu. Wandert man den Kratern entlang und den heissen Flüssen nach hinunter, fühlt man sich dem Erdinnern nah. Alles was hier wächst, kreucht und fleucht ist erst in den letzten Jahren zugezogen. Das Tal ist darum Objekt von Forschern und Studien. Algen kehrten demnach als Erste zurück. Sie halten Temperaturen auch von über 50 Grad Celsius aus, gefolgt von Moosen und bald auch Farnen. Es ist die Entwicklungsgeschichte der Erde, die sich hier ablesen, abwandern und bestaunen lässt.
Neuseeland ist ein sehr angenehmes Land zum Reisen, das können wir nun bestätigen. Wir trafen entsprechend viele Schweizer und Deutsche. Die Neuseeländer scheinen mit dem vielen Besuch keine Mühe zu haben. Leben und leben lassen, lautet das Motto. Wahrscheinlich auch weil der Tourismus einen schönen Teil des Bruttosozialproduktes ins Land bringt.
Tourismus können sie, die Neuseeländer. Heimelige Kaffees, ausgefallene Restaurants und Unterkünfte für alle Budgets gibt es in jedem kleinen Örtchen. Immer erlebten wir unsere Gastgeber freundlich und entspannt. Stress haben sie keinen und lassen auch keinen zu. Neuseeland ist eben anders. Schliesslich sind hier auf der Insel am Ende der Welt alle Menschen irgendwie Gäste.
Fazit: Wenn wir wiederkommen, bleiben wir länger. Drei Wochen sind viel zu kurz für eine Reise über die 1600 Kilometer lange, zweigeteilte Insel. Das war uns von Anfang an klar. Das "Treiben lassen" war darum die richtige Entscheidung. Wir fassten unsere Ziele von Tag zu Tag und buchten so auch unsere Unterkünfte. Das klappte fast immer optimal. Einmal weniger, doch eben: No worries, es kommt schon gut.
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Zum "no worries" noch ein Nachtrag. Schweizer brauchen für die USA kein Visum. Aber sie brauchen eine sogenannte Waiver-Bewilligung. Die entsprechenden Formulare sind spätestens 72 Stunden vor der Einreise bei den zuständigen Stellen einzureichen. Dumm also, wenn man wie wir erst am Morgen des Fluges von Auckland nach Honolulu die entsprechenden Passagen richtig liest. Da bleibt einem nur noch Eines: Formulare sofort (und teuer) nachreichen und hoffen oder beten oder zaubern, dass die Antwort noch rechtzeitig bis zum Einchecken am Flughafen per E-Mail eintrifft. Das Wunder geschieht: Fünf Stunden später schon ist das Waiver-Visa da. Wir sind glücklich. Und Schweizer. Die sind beim Ein- und Ausreisen meist privilegiert.