It never rains in Southern California
Goodbye ewiger Sommer, willkommen im Frühfrühling von Kontinentalamerika, wo wir alte Hippiestätten, Spielhöllen und die Oscar-Verleihung besuchten.
San Francisco empfing uns kühl. Die Temperatur lag gut 10 Grad Celsius tiefer als in Hawaii. Es blies ein kräftiger Wind und an der Adresse, wo wir unsere Airbnb-Wohnung erwarteten, lag diese nicht. So standen wir denn am mittelspäten Abend auf einer dunklen Strasse in einem menschenleeren Wohnquartier von Oakland und suchten nach einem frei zugänglichen Wifi für unsere mobilen Kommunikationsgeräte.
Wie bisher fast immer auf unserer Reise hatten wir Glück. Eine Nachbarin öffnete uns ihre Türe und gab uns ihr Wifi-Passwort. So durchforsteten wir bei abnehmender Batterie-Status-Anzeige unsere E-Mail-Konten und wurden fündig, just bevor der Bildschirm schwarz wurde. Die Wohnung lag einen Block weiter, in einem Haus mit Leuchtgirlande. Ansonsten lag die Fassade im Dunkeln.
Einen Irrweg durch die Garage später - unsere Vermieterin trafen wir erst am nächsten Abend - standen wir in unserem schummrig-roten Zimmer. Die Einrichtung passte bestens zu unserer Vorstellung vom San Francisco der 70er-Jahre. Der Raum vollgestellt mit alten Möbeln und Lampen, die Gestelle voller Bücher mit Zeitkritik, Musikgeschichte und Comics, an den Wänden wilde Bilder von Sex und Tod. Unserem Dafürhalten nach müssen die Hippies genau so gelebt haben, damals als die Stadt am Pazifik Synonym war für neue Musik, freie Liebe, viel Drogen und wachsenden Widerstand gegen den Vietnamkrieg.
Unsere Unterkunft gefiel uns also gut. San Francisco lag nur rund 20 Minuten U-Bahn-Fahrt unter der Bucht hindurch entfernt. Erneut hielten wir uns nicht an Reiseführer, sondern zogen zu Fuss los und durchquerten die Stadt scheinbar ohne Plan quer und längs. Und stiessen so neben den von Touristen meistbesuchten schönen Orte auf andere unbekanntere, die uns ihre Geschichte erzählten. Zum Beispiel die Sutter Street, die an den Mann erinnert, der als Pleitier das Baselbiet verliess, sich bei Sacramento als „General“ Sutter einen Landstrich unter den Nagel riss und schliesslich fast sein ganzes Hab und Gut im kalifornischen Goldrausch wieder verlor.
Wir stiegen steil hinauf in den Buena-Vista-Park – die Aussicht ist wirklich sehr schön – flanierten durch das Hippie- und Beatnik-Quartier Haight-Ashbury, badeten in der Sonne im Golden-Gate-Park und blickten vom Turm auf dem Telegraph-Hill runter auf die hügelige Stadt. Wir erkundeten Little China und die langen Hafenmauern, sassen in der Standseilbahn und assen Meeresfrüchte bei Aliotos.
Höhepunkt unseres Besuchs war die Velofahrt entlang der San-Francisco-Bay nach Sausalito. Am Morgen lagen noch Schleierwolken vor dem Himmel, doch die Sonne setzte sich durch und beschied uns eine wunderbare Frühlingsfahrt.
Wir kreiselten auf dem Wasserparkpier, stiessen unsere Göppel hinauf zur Black-Point-Batterie und näherten uns so langsam dem Bauwerk, das sich kühn über das Golden Gate spannt.
Der Blick darauf und davon runter ist ein wenig Trampelei mehr als wert.
Von Sausalito führte uns die Fähre – an der berühmt-berüchtigten Gefängnisinsel Alcatraz vorbei – zur Embarcadero, wo früher für viele Chinesen und Japaner die Pazifik-Überfahrt endete.
Eigentlich wollten wir von San Francisco aus nach Los Angeles, in einem Mietauto, auf dem Highway Nummer Eins. Vorderhand klappte das auch gut, bis Carmel by the Sea genossen wir spektakuläre Blicke auf viel Gischt, Kliffe und Klippen, gesäumt von grünen Wiesen voller Blumen.
Am Tag darauf war die Reise vor Big Sur, dem Höhepunkt der Highway-1-Fahrt, aber zu Ende. Die Strasse war gesperrt, weil viele Hänge und eine Brücke in Richtung Meer gerutscht waren.
Fünf Jahre lang hatte es in Kalifornien nicht geregnet – bis wir den Bundesstaat in unser Reiseprogramm aufnahmen. Genau im Januar begann es zu giessen und wie (passend dazu: it never rains in California). Eine Regenpause gabs just während unserem Besuch in San Fran, doch einen Tag nach unserer Abreise kehrten Regen, Wind und Sturm zurück. Wohl oder übel machten wir uns darum erst auf einen Umweg und eine gemütliche Nacht später in Richtung Las Vegas auf.
Im Norden drohte an dem Tag ob der Wassermassen der Oroville-Staudamm-Überlauf Schaden zu nehmen, im Süden verschwand ein Auto in einem Loch, das vom Grundwasser gerissen wurde. Uns wird von der Fahrt quer durch Mittelkalifornien, an kahlen Hügeln und Bakersfield vorbei, über die Sierra-Nevada-Ausläufer und durch die Mojave-Wüste, vor allem das Hin und Her der Scheibenwischer und das Hörbuch „Der Hobit“ in Erinnerung bleiben.
In Las Vegas war der Zirkus unser Zuhause, das Kasino-Hotel Circus Circus.
Die Unterhaltung unter der Zeltkuppel war gut (die Kinder und wir spendeten manchen Quarter-Dollar), die Unterkunft war mässig (im Motel-Quervergleich gibts eine 4,0) und: Wir mussten mit einer Minusbilanz vom Eis (Karin und ich verspielten am Roulettetisch und beim Black-Jack mehr als wir gewannen, aber das muss ja so sein...).
Die Glücksspielstadt in Nevada scheint beliebt wie eh und je, auf den Trottoirs entlang des Strips, der „Hauptstrasse“ Las Vegas, bewegten sich die Menschenmassen dicht an dicht. Alle Casinos zu besichtigen würde Tage dauern, wir beschränkten uns aus Nostalgiegründen, weil Karin und ich Anfang der 90er-Jahre schon mal da waren, auf den Palast von Cäsar und die Ritterburg Excalibur.
Eines ist sicher: Erst einmal drin in einem dieser weitläufigen Vergnügungs- und Einkaufstempeln, findet sich der Ausgang nur noch schwer. So liefen wir denn durch Venedig nach Rom, bewunderten Fotos von schönen Orten aus aller Welt, staunten unter anderem über den Preis einer Brille von Michael Jackson (mit Unterschrift) für 12 000 Dollar und wurden zu einem Rencontre mit Ex-Boxer Mike Tyson in ein Geschäft gebeten.
Die Unterhaltung beschränkt sich nicht auf die grossen Säle hinter den glitzernden Fassaden, auch davor, auf der Strasse wirbt alle paar Meter ein Zauber- oder Verenkungskünstler um Publikum, sammelt eine Break-Dance-Gruppe Spenden ein und bieten sich Superman und Catwomen für einen Schnappschuss an.
Dazwischen sitzt ein halbblinder Mann mit nervösem Augenzucken und bettelt als Veteran der US-Armee um Münz. Zwischen Show und Wirklichkeit liegen auch in Las Vegas nur wenige Meter.
Nach zwei Tagen Aufenthalt waren wir froh, dem Trubel den Rücken zudrehen zu können. Wir fuhren durch die Wüste, kurz noch auf der überfüllten Autobahn, dann über verlassene Landstrassen in Richtung Joshua-Tree-Nationalpark. Der heisst so, weil die ersten Siedler in einem für die Gegend typischen Baum (einer Palmlilie) den biblischen Armeeführer Josua wiedererkannten, der mit seinem Armen (den Ästen) seinem Volk den Weg ins gelobte Land wies.
Wieder begegnete uns eine neue Welt. Riesige Hügel aus scheinbar angehäuften Steinen, gross wie Häuser die einen, andere bloss so gross wie eine Faust. Wir wanderten dazwischen und auf die nahen Berge, in denen bis in die 1930er-Jahre einsame Goldsucher nach dem wertvollen Metall geschürft hatten.
Weil erst vor Kurzem heftige Regenfälle aufs ansonsten knochentrockene Land gefallen waren, grünte und blühte es rings um uns.
Wir assen im Crossroads-Café Fish-Tacos und Seitan-Hamburger (danke Claudia Peter für den Tipp und die Wandervorschläge), schritten im Pioneer-Town über die staubige Hauptstrasse und lösten die gestellten Aufgaben im Nationalpark-Büchlein der Kinder. Einen Ranger-Schwur später erhielten Lilja und Ilias die braunen Ranger-Hüte und die goldenen Ranger-Abzeichen.
Unser letzte Abstecher führte uns an einem bitterkalten Morgen an den Barker-Damm. Auf dem kleinen Stauseelein, das nur ganz selten Wasser hält, schwammen zwei Enten und gründelten im Schlamm.
Steil hinab gehts vom Plateau mit dem Joshua-Nationalpark nach Palm Springs, von knapp 900 Metern auf 120 Meter über Meer.
Mit voll geladener Batterie – unser Auto in Kalifornien war ein Toyota Prius – steuerten wir in Richtung Los Angeles. Breiter und breiter wurden die Strassen, mehr und mehr Verkehr floss zusammen. Als alter Kleidersammler schreibe ich das nicht gerne, aber: Mit Satellitenunterstützung durch die Stadt der Engel zu kreuzen, direkt von A nach B, ist wesentlich angenehmer, als sich alleine auf den eigenen Orientierungssinn zu verlassen.
In Los Angeles hatten wir zwei Dinge zu erledigen: Erstens die Filmauszeichnung Oscar für die „beste Familie“ abzuholen und zweitens den Ort aufzusuchen, wo die von Alfred Hitchcock erfundenen drei Fragezeichen zu Hause sind. Also zuerst nach Hollywood, wo wir auch wohnten. Der Stadtteil stand mitten in den Vorbereitungen für die Oscar-Verleihungen, der rote Teppich war schon ausgerollt und das Sicherheitspersonal bereits auf Zack, die Zaungäste ständig weg- und weiterzuscheuchen.
Sicherheit das können sie, beim Oscar. Das mit dem Couvert-Vertauschen auch. So kam es, dass zwar die Familie Zopfi-Herter ihre Ehrenauszeichnung standes- und rechtsgemäss überreicht erhielt, die Auszeichnung für den besten Film aber zuerst dem falschen (La La Land) und dann erst dem richtigen Gewinnerteam („Moonlight“) in die Hände gedrückt wurde. Und wir waren dabei, nur 10 Kilometer enfernt, in unserem Motel am Flughafen, von wo wir am nächsten Morgen nach New York aufbrachen.
Vorher aber suchten wir den Hollywood Walk of Fame entlang die goldenen Sterne nach bekannten Namen ab, assen Burger und Fritten in einem Restaurant à la „Jack Rabbit Slims“ und flitzten mit Harry Potter auf dem Hexenbesen 4D durchs Schloss Hogwart in den Universal Studios.
Zwischendurch stiegen wir hinauf in Richtung der grossen HOLLYWOOD-Buchstaben und blickten wie schon James Dean vom Observatorium hinab auf „El Pueblo de la Reina de Los Angeles“, wie der spanische Name der Stadt ursprünglich lautete.
Unerfüllt blieb der Wunsch von Ilias, das Städtchen „Rocky Beach“ zu besuchen, wo Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews und das ganze Universum der drei Fragezeichen zu Hause sind. Den Ort Rocky Beach gibt es nicht, nur Teile davon, verstreut auf die Küstenregion westlich von Los Angeles, zwischen Topanga, Malibu und Santa Monica. Da waren wir zwecks Recherchen in der Bibliothek, standen vor teuren Strandvillen am Meer und assen frischen Fisch im „Reel Inn“, einem Restaurant mit Gartenbeiz, nur wenige Schritte entfernt vom Strand von ROCKY BEACH.