Lächelnd nach Asien
Hitze, Motorbikes, Tempel und Farbenpracht: Wir sind in Bali angekommen.
Eben standen wir noch verwirrt und verschwitzt am Flughafen Tbilisi beim Check-In, schon flogen wir die uns wohlbekannte Route dem Schwarzen Meer entlang zurück nach Istanbul. Drei von uns Vier lieben das Fliegen und genossen diesen ersten kurzen Flug.
Obwohl wir auf unserer Reise eigentlich nur vorwärts und keinen Meter zurückwollten und uns die Idee nicht so behagte, am Flughafen Istanbul zwischenzulanden, dem Ort der Attentate und des Putsches, entschieden wir uns aus praktischen und preislichen Gründen für einen Flug mit Turkish Airline.
In Istanbul mussten wir sieben Stunden Wartezeit überbrücken, mit Kaffee, der Olympiade im Fernsehen und Lädelen in der riesigen Shoppingmeile im ebenso grossen Terminal. Aber am Spannendsten war es, den anderen Fluggästen zuzuschauen. Da gab es Menschen aller Hautfarben und in allen möglichen Kleidungen zu sehen – im Businessanzug, in bestickter Stammeskleidung, mit Kippa, in Hotpants, voll verschleiert und voll tätowiert. Auch mit Sprachenraten vertrieben wir uns die Zeit.
Trotzdem wurde uns die Zeit lang, bis wir endlich in den Airbus nach Jakarta einsteigen konnten. Aber dann Juhui! Paradiesischerweise konnten wir, die in den Monaten davor keinen Fernseher zur Verfügung hatten, aus einer riesigen Filmmediathek auswählen. Ilias und Lilja entschieden sich für Disneyklassiker, David für ein Portrait von Muhammed Ali und ich für eine seichte Kommödie – als Erstes, denn der Flug nach Indonesien reichte für vier Filme. Auch das Essen war über Erwarten gut und so war auch der zweite Flug kurzweilig und recht erholsam.
In Jakarta holten wir erstmal ein paar Millionen Rupien – endlich mal Millionär! – aus dem Automaten, kauften dann für rund eineinhalb Millionen ein verlängerbares Visum und wurden im Bus in den brandneuen Terminal 3 gefahren, noch grösser als das Terminal in Istanbul und (noch) beinahe leer. Eine Flugstunde später landeten wir endlich, endlich in Denpasar.
Wir waren sehr froh, dass Bob uns um Viertel vor Eins in der Nacht abholte. Bob war sozusagen Teil unseres in Bali gemieteten Häusschens. Er ist einerseits Besitzer des Landes, auf dem das Häuschen steht – das dem Österreicher Alfred gehört, aber Ausländer können in Bali nicht selber Land kaufen – und andererseits der Fahrer, der den Gästen im Häuschen seine Dienste anbietet.
Unsere erste Fahrt in Richtung Halbinsel Bukit im Süden kam uns unglaublich verwirrend vor, sie führte nach kurzer Fahrt über die Schnellstrasse durch kleine Nebensträsschen, mal links, dann rechts. Es war unmöglich den Weg im Kopf mitzuverfolgen. Aber irgendwann und irgendwo öffnete sich die Tür zum Balihaus, das für die nächsten 2 Wochen unser Zuhause sein sollte und wir fühlten uns sofort wohl.
Das kleine zweistöckige Haus ist im balinesischen Stil gebaut. Auf zwei Stöcken befinden sich eine Outdoorküche, ein Outdoorwohnzimmer und zwei Schlafzimmer, eines unten, eines oben. Im Garten steht ein Pool, den wir natürlich sofort ausprobierten, umgeben von farbigen tropischen Blumen und fremdartigen hohen Bäumen. Zuhinterst im Garten steht ein kleiner Tempel. Wie wir herausfinden sollten, haben die meisten Balinesen mindestens einen Haustempel, dessen Gestaltung und Verzierung anzeigt, wie vermögend die Besitzerfamilie ist.
Die ersten Tage gingen wir ruhig an und liessen uns von Bob durchs Land chauffieren. Die dichte Besiedelung Balis vermittelte uns vorerst den Eindruck, man fahre durch ein einziges zusammenhängendes Dorf. Wir waren froh, nicht selbst fahren zu müssen in diesem Gewimmel aus Motorbikes, Autos, Menschen mit schweren Lasten auf den Köpfen und Tieren auf engen Strässchen. Erst recht weil sich Steuerrad und Fahrspur auf der "falschen" Seite befinden.
Wir genossen die Strände von Balis Süden, die wie aus dem Prospekt entsprungen scheinen. Zum Beispiel der weisse Sandstrand von Jimbaran. Das Wasser ist da so warm, dass man nie kalt bekommt. Die Verhältnisse waren aber jedesmal anders, manchmal mit hohen Wellen, unter denen man, wenn sie vor einem brechen, durchtauchen muss. Oder von denen man sich, wenn man sie im richtigen Moment erwischt, ans Land spülen lassen kann – mit oder ohne Bodyboard. Ab und zu ein Schluck Salzwasser tat unserem Spass keinen Abbruch. Manchmal, wenn Ebbe war, lief man 50 Meter zum Meer und sah auf dem Weg kleine Krebse, die winzige Kügelchen in schönem Muster vor ihrer Höhle anordnen.
Nach gelungenem Bodyboarden probierten wir selbstverständlich auch das Surfen aus. Erstes Fazit: Es ist unglaublich anstrengend. Hochkonzentriert warteten David und ich auf die richtige Welle, paddelten mit und versuchten Aufzustehen auf dem wackeligen Brett. Dann paddelten wir wieder hinaus aufs Meer. Bei unserem Surflehrer sah es leicht und elegant aus, wir fühlten uns dagegen schwerfällig und unbeholfen. Aber Übung macht die Meisterin und den Meister, es ist alles eine Frage des Trainings, weshalb wir beschlossen, bald wieder Surfen zu gehen.
Wir assen gigantische Meeresplatten, mit Crevetten, Krebsen, Tintenfischen, Hummern und Fischen bei Sonnenuntergang am Meer und kleine indonesische Köslichkeiten mit Nudeln oder Reis, Gemüse und Fleisch, tranken dazu feinste, frisch zubereitete Fruchtsäfte oder ein Bingtang (das balinesische Feldschlösschen). Inspiriert kreiierten wir eigene kleine Mahlzeiten in unserer Openair-Küche und genossen die Ruhe von Garten und Pool im Balihaus.
Die ersten Tage fühlten sich traumartig an, weil wir plötzlich an einem Ort waren, wo Aussergewöhnliches plötzlich Alltag wird. Man braucht kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man Ananas, Mangos, Bananen, Drachenfrucht, Mandarinen, Orangen oder irgendeine andere unbekannte Früchte kauft, denn hier ist (fast) immer Saison. Bananen sind die Kartoffeln Balis, es gibt sie zum Beispiel gekocht zum Frühstück. Der Mond liegt am Himmel und die Planeten, Sterne und Sternbilder glitzern fremd oder an überraschender Position vom samtenen Himmel. In der Nacht hört man Geckos rufen, Lovaks klingen und unbekannte Vögel singen. Die Balinesen zählen die Tierrufe und glauben, dass eine ungerade Anzahl Glück bringt, besonders die 7 und 9.
Die Menschen sind sehr freundlich und ein bisschen Englisch sprechen die meisten. Obwohl einige Orte sehr touristisch sind, ergeben sich häufig persönliche Momente. Die Balinesen erzählen gerne und freimütig von Familie, Religion und der Entwicklung des Landes. Aufpassen muss man aber wenn ihre fröhliche, singende Antwort "Jä, jä" lautet. Dann haben sie nicht verstanden, was man erzählt oder gefragt hat, dürfen dies aber aus kulturellen Gründen nicht zugeben.
Balinesinnen und Balinesen sind meist zurückhaltend und lächeln in jeder Situation, selbst die Kinder. Wir hoffen, dass wir und unsere Kinder das bei Gelegenheit auch noch lernen... Im Strassenverkehr, der dicht und oft von langen Staus geprägt ist, gibt es kaum Gehupe aus Ungeduld und keine Rowdys. Der Verkehr fliesst auch an den unübersichtlichen vielbefahrenen Kreuzungen ohne Lichtsignal oder Verkehrskadetten. In der Schweiz wären dafür längst vier Konzepte ausgearbeitet, eines ausgewählt, für sehr viel Geld erst umgesetzt und dann noch teurer verbessert worden. Und trotzdem würden sich viele über das Warten ärgern.
Die balinesisch geprägte Hindureligion nimmt viel Raum ein, ist überall sichtbar und bleibt uns trotzdem fremd. Wir beobachten, wie meist die Frauen am Morgen Opfergaben für die Götter vor das Haus, in die Haustempel, in die Autos und auf die Motorräder und an viele andere Orte stellen. In kunstvoll hergestellten Körbchen aus Bananenblätter geben sie Reisküchlein, Blüten in allen Farben, Münzen, Fruchtschnitzchen und andere Köstlichkeiten, um die Götter (die teilweise gut, teilweise böse sind) zu besänftigen, das Essen mit den Ahnen zu teilen oder Geister abzuwehren.
Immer wieder gibt es Zeremonien (für den Vollmond, Neumond, das Meer, für das neue Auto, für die Kinder, wenn sie ein bestimmtes Alter erreichen, wenn jemand stirbt...), die in den unzähligen Tempeln abgehalten werden. Unser Fahrer Bob machte sich ein bisschen darüber lustig, stöhnte aber auch, denn vor allem die individuellen Zeremonien sind sehr teuer.
Der Meerestempel Pura Uluwatu trohnt ganz im Süden über steilen Felsen, vor dem Indischen Ozean mit Blick Richtung Australien. Hinter dieser grossartigen Kulisse sahen wir die Sonne versinken und davor einen Kecaktanz (Affentanz). Eine Gruppe junger traditionell gekleideter Männer untermalte rythmisch die im Tanz dargestellte Geschichte, in der eine Entführung und der Kampf zwischen Gut und Böse ungewiss enden, mit Schnalzen, Händeklatschen, Rufen und Gesang. Die Tänzerinnen und Tänzer trugen prunkvolle Kleider mit viel Gold und waren puppenhaft geschminkt. Die Aufführung richtete sich an Touristen, die echten Tänze werden nur an religiösen Anlässen vor Balinesen gezeigt. Trotzdem erhalten wir so einen Einblick der balinesischen Kultur, von ihrer Liebe zum Tanz (es gibt über 200 Tänze in Bali) und ihrem Verständnis, dass die Welt sich in ständigem Kampf zwischen Gut und Böse befindet.
So richtig touristenmässig unternahmen wir eine tägige Exkursion nach Ubud, einer Kleinstadt im Landesinneren, die bekannt ist für Maler und Handwerker. Ausserdem spielte sie im Buch ,Eat Pray Love' eine wichtige Rolle. Bob machte Station bei den Batikern, in einer eindrücklichen Kunstgalerie, die traditionelle und moderne Maler ausstellt, für einen Barong-Tanz, ein Essen mit Blick in die Landschaft und einen Spaziergang durch die Reisterrassen.
Tiere sind in Bali allgegenwärtig. Sei es in stilisierter Form als Steinfigur in den Tempeln oder lebendig als Haus- oder Wildtier. Die balinesische Kuh ist etwas dazwischen und sieht einem Reh ähnlicher, als einer Simmentaler Kuh. Am Morgen bei Sonnenaufgang weckt einem ein vielstimmiges Güggelkonzert in allen möglichen Tonlagen und mit überraschenden Triolen. Von ihrer Frauenschar stammen die feinen Eier, die in Bali zu fast jeder Mahlzeit serviert werden.
Schlendert man durchs Dorf kommt alle fünf Meter ein Hund angewedelt oder angeknurrt, lustige Mischungen mit zu kurzen Beinen oder Fledermausohren, braun, grau oder schwarz.
Die Tierhaltung ist nicht mit Schweizer Standards zu vereinbaren. Die arme Kuh, die an einem zu kurzen Strick an einen Baum in der Abfallhalde gebunden dasteht, dauerte uns zutiefst. Die Vögel, die überall in zu engen Käfigen flattern, wir würden sie am liebsten alle befreien.
Unser Ausflug zur Turtle Island war leider keine Ausnahme. Da hausen die riesigen Kröten in engen Stahlwannen. Immerhin nur auf Zeit, denn nach dem Eierlegen dürfen die grossen Schildkröten wieder in die Freiheit und die Babyturtles auch, wenn sie sechs Monate alt sind und sich gegen Raubtiere wehren können. Die armen Schlangen und Vögel, die auf Turtle Island auch eingesperrt und ausgestellt werden, bleiben hingegen für immer im Käfig.
Irgendwann während der ersten Tage kriegten wir alle (ausser Lilja) einen heftigen Heimwehanfall. Plötzlich sahen wir die Vorteile unseres schönen Zuhauses in der Schweiz, konnten uns gut einen regnerischen Tag auf dem roten Sofa vorstellen und wussten gar nicht mehr so recht, warum wir eigentlich unterwegs waren. Sehr seltsam, denn eigentlich waren wir an einem paradiesischen Platz. War es vielleicht der endgültige Abschied von Europa, der uns zusetzte? Oder machten uns die kürzeren Tage zu schaffen? Die Sonne scheint in Bali zwar unerbittlich heiss vom Himmel, aber ab etwa halb sieben Uhr abends bleibt es für zwölf Stunden wirklich dunkel.
Wir wussten es nicht. Ausserdem hatten wir auch erwartet, dass wir irgendwann auf unserer Reise an einen "Heimwehpunkt" kommen würden. Nach ein paar Tage legte sich der Seelenschmerz wieder und wir fanden neue Freude am Reisen und mieteten ein Auto, um die Strände der Halbinsel Bukit zu erkunden. Wir sind in Asien angekommen und beginnen die Tropen zu geniessen. Und schmieden Pläne, als Housesitter zu arbeiten, in den Norden zu fahren und eventuell zu den Känguruhs weiterzutingeln.