New York: If I can make it here, I can make it anywhere
Zum letzten Mal auf dieser Reise tauchten wir ins Grossstadtleben ein, genossen die Annehmlichkeiten und Sehenswürdigkeiten der Metropole, liessen uns von dem Menschen- und Verkehrsgewimmel den Kopf verdrehen und fanden den Überblick wieder im 82. Stock.
Ganz früh am Morgen, bei noch nachtschlafener Schwärze, fuhren wir an den Flughafen Los Angeles, brachten unser treues Mietauto zurück und verplämperleten Zeit im miefigen Fastfood-Court.
Die Nervosität stieg vor dem Start, wie immer. Schliesslich legten wir unsere Leben in die Hände des Piloten. Wir sahen L.A. kleiner und kleiner werden, flogen nochmals dem San-Bernardino-Valley entlang und schliesslich über die Wüste. Dort unten musste irgendwo Las Vegas liegen. In den nächsten Stunden überquerten wir die ganze USA und dachten daran, dass diese Strecke auch ein hübscher Roadtrip geworden wäre. Vielleicht beim nächsten Mal.
Sechs Stunden später standen wir in New York, an der Subway-Station Jamaica und wussten nicht genau, welche Untergrundbahn wir besteigen sollten. Der Flug hatte uns verwirrt. Eine junge Frau sprach uns und half. Flugs waren wir in ein angeregtes Gespräch verwickelt. Die Anwältin kennt und schätzt die Schweiz über ihren Exfreund. Wir verglichen unsere Länder, erzählten Anekdoten aus unseren Leben und machten böse Miene zur amerikanischen Politik. Eine Reisestunde später trennten sich unsere Wege, aber schon war New York nicht mehr so fremd und anonym.
Die rumpelige Subway, an anderen Orten auch Metro genannt, war ab da unser zuverlässigstes Transportmittel. Sie war ein guter Weg, um meine Panik vor Tunnels zu bekämpfen, besonders, wenn sie ab und zu im Dunkeln anhielt und niemand wusste, für wie lange und warum.
Im Stadtteil Wiliamsburg, wo sich unsere Unterkunft befand, waren die Wohnungen noch nicht zu Häuserschluchten hochgeschichtet. Das ehemalige Arbeiterquartier ist gerade trendy. Wir wanderten der Graham Avenue entlang und sahen kleine Läden, polnische Beizen, Cafés, Kneipen, italienische Restaurants und Buden, chinesische Wäschereien und Friseure. Auf den Strassen trafen wir Männer mit Bart, Doc Martins-Trägerinnen, Pärchen im Strickpullover, mehrheitlich junge Leute die hier nicht nur wohnen, sondern leben.
Unsere Unterkunft, ein rotes Backsteinhaus vis-à-vis einer grossen Kirche, überraschte uns: Wir hatten nicht geahnt, dass die Wohnung so riesig sein würde, mit 5 Schlafzimmern, Wohnzimmer und Essküche. Es war aber schön, wieder mal mehr Platz zu haben. Ilias und Lilja freuten sich über je ein eigenes Zimmer, wollten dann aber schon in der dritten Nacht wieder zusammen übernachten.
Am Abend schafften wir es nur noch ins Restaurant gleich um die Ecke. Bei Francesco assen wir wunderbare gratinierte Artischocken, frische Salate und herrliche Pastagerichte. Nur ich machte einen kleinen Fehler und bestellte aus Versehen Pasta mit Kutteln. Gottseidank war David zum Tausch bereit. Beim nächsten Besuch nahm er als Ausgleich dann Lamm am Knochen.
Auch die Zeit an der letzten Etappe verging wie im Flug. Am ersten Tag genossen wir das Hausfrauen-und-Herren-Dasein. Am Nachmittag machten wir einen langen Spaziergang bis an den East River. Das geometrische Strassensystem erleichterte uns die Orientierung. Mitleid fühlten wir hingegen mit den Kindern, die in diesen kleinen Parks die Natur (nicht) kennen lernen. Die Skyline von Manhattan beobachteten wir erstmal aus der Ferne.
Erst einen Tag später nahmen wir dann den Subway bis ins Herzen Manhattans. Mit offenen Mündern schauten die Kinder (und wir) zu den hohen Türmen hinauf, hinter denen die Sonne schon verschwunden war.
Wir wanderten von einem Block zum andern, warteten schön brav am Rotlicht, nahmen uns noch ein Strassenquadrat und noch eines vor und standen irgendwann vor dem Empire State Building. Ehrwürdige Pförtner flankierten das Eingangstor und wiesen uns den Weg zum Lift.
Das Sackmesser musste ich unten lassen, bekam es aber immerhin (nicht wie David im Flughafen...) wieder zurück. Wie eine Rakete sauste der Lift innerhalb von weniger als einer halben Minute zum 82. Stock hinauf. Der Ausblick war gigantisch!
Ich mochte es schon immer, wenn sich die reale Welt in eine Puppenstube verwandelt. Ich sah all die gelben Taxis wie Spielzeugautos an den Rotlichtern stehen, umschwärmt von winzigen Menschen und nahm mit Spioninnenblick von sorgfältig eingerichteten Dachgärten und Swimmingpools Notiz.
Eindrücklich war der Besuch des Ground Zero Memorials. In die Kupferumrandung der zwei Becken waren die Namen aller Menschen gefräst, die beim Anschlag am 11. September 2001 starben. Einige Namen waren mit frischen Rosen geschmückt, die Anteilnahme und die Gedanken an die Menschen ist immer noch gross. Das Wasser des Beckens lag stumm und schwarz.
Ein Schiff brachte uns zur Liberty Island, wo Miss Liberty in Richtung Frankreich Ausschau hielt – nach dem Wetter, der alten Heimat oder neuen Einwanderern, wer weiss? Schön, stolz und wohlproportioniert thront sie in ihrer grünbronzenen Kutte als Wächterin vor New York.
Später auf Ellis Island erfuhren wir viel über die Einwanderer, die hier im Verlauf des letzten Jahrhunderts mit dem Schiff ankamen. Kranke mussten teils Monate auf der Insel ausharren. Leute mit geringer Intelligenz (das wurde anhand eines Tests überprüft), Kriminelle, Geisteskranke, Kriminelle und ledige Mütter wurden zurückgeschickt.
Im hinteren Museumsflügel konnte man nach eigenen Verwandten forschen, die in die USA ausgewandert sind, und tatsächlich ermittelten wir einen David Zopfi, der anno 1904 von Schwanden/Glarus nach New York auswanderte.
Das Wetter war schön, aber eiskalt, deshalb waren wir froh, ab und zu ein wärmendes Museum besuchen zu dürfen. Der Kunstunterricht fand diese Woche im MoMa (dem Museum of Modern Arts) statt.
Viele kreativen Ansätze berühmter Künstler aus verschiedenen Epochen waren zu besichtigen, zu bestaunen und zu hinterfragen. Wir diskutierten rege darüber, was überhaupt Kunst ist, was Kunst überhaupt ist.
Nicht alle Bilder gefielen den Kindern und nicht alle würden sie - als Museumskuratoren - ausstellen. Aber sie verstanden, dass in anderen Zeiten ungewohnte Ideen und Maltechniken auf oft erst Ablehnung stiessen, bevor sie populär und teuer wurden.
Im Museum of Mathematics versuchten wir Zahlenreihen zu hüpfen, Zauberquadrate auszufüllen, geometrische Formen zusammenzustellen und vieles mehr. Selten war Mathematik so lustig und auch Lilja, die sonst immer behauptete, keine Mathematik zu mögen, lachte viel und war begeistert bei der Sache.
Unsere Wanderungen führte uns am Trumptower vorbei (wo mich plötzlich eine Kröte im Hals kratzte) und in den Central Park. Schön aber eiskalt war es in diesem Schauplatz zahlreicher Filme.
Am Freitag bekamen wir Besuch aus der Schweiz. Eine Freundin stiess zu uns und gemeinsam wanderten wir der Highline entlang, durch das ehemalige Fleischverabeitungsviertel und weiter bis ins Zentrum von SoHo, bevor wir auch noch kurz durch Little Italy und Nolita schlenderten.
Schliesslich feierten wir den letzten Abend unserer Reise – wieder im Da Francesco.
Der Schluss kam plötzlich, trauern über das Ende unserer Weltreise konnten wir nicht. Die Freude über die Heimkehr und das Wiedersehen mit Familie und Freunden füllte unser Herz deutlich mehr als der Schmerz über die vergangene schöne Freiheit.