Wanderarbeiter in Australien
Arbeiten in Bali, arbeiten auch in Australien: Wie wir bei Sarah und Steve den australischen Busch abbrannten, dies und das diskutierten und eine liebenswerte Familie kennenlernten.
Ein kleines Vorortszüglein, ähnlich dem Turbo nach Sennhof, bringt uns nach zwei Nächten in Perth nach Armadale, zu unserem zweiten Arbeitsort – schon ein bisschen erfahrene Arbeiter also. Am Bahnhof warten wir gespannt auf unsere neuen Arbeitsgeber. Welcher Job uns genau erwartet, wissen wir noch nicht, im generellen Gartenarbeit. Aus zwei Hauptgründen haben wir unter allen möglichen Einsatzorten Sarah und Stevens Anzeige gewählt: Es stand ,Families welcome' und dass Steven sehr viel über Pflanzen wisse und sein Wissen gern teile.
Beim Warten fällt uns als erstes die riesige Shopping Mall auf. Gigantisch gross steht das Einkaufszenter vis-à-vis des Bahnhofs, man könnte problemlos ganz Sennhof hineinstellen. Ansonsten wirkt Armadale wie eine australische Version von Effretikon, ein bisschen Vorortskaff. Typisch: die vielen gleichaussehenden, einstöckigen Häuser mit Aircondition.
Das erste Aufeinandertreffen ist immer wichtig, man beschnuppert sich, Energien werden ausgetauscht und eine erste Ahnung über Vorliebe und Abneigung entsteht. Sarah erweist sich bei der Fahrt zu ihrem Haus als natürliche symphatische Frau ähnlichen Alters, mit der wir sofort in ein Gespäch über Kindernamen vertieft sind.
Vom Highway in Richtung Albany, der den Westen Westaustraliens mit dem Süden verbindet, biegen wir links in eine lange, steile Auffahrt ein. Zuoberst trohnt archengleich ein Familienhaus, aus rotem Holz gezimmert. Steven, Lacklen (6) und Kieran (3) erwarten uns schon für eine Führung übers Land.
Die Familie wohnt erst seit April hier. In den 50er-Jahren diente das Grundstück als Fruchtplantage. Danach gehörte es einem immer älteren Pärchen. Die Auswahl an Fruchtbäumen ist traumhaft: Während unserem Aufenthalt ist die Zeit reif für frische Orangen, Zitronen und Lockets (einer asiatischen, aprikosenähnlichen Frucht mit mehreren Kernen). Auch frische Mandeln probierten wir das erste Mal in unserem Leben. Die Zwetschgen, Pflaumen, Kirschen, Äpfel und Beeren blühen schon und werden dann schön übers Jahr verteilt gegessen. Salat, Kräuter, Randen und Spargeln pflückten wir regelmässig für den Znacht. Und noch gibt es viele überwuchterte Beete, um darin mehr zu pflanzen.
Im kleinen Fluss am Fusse des Hügels wohnen grosse Krebse, die man im Licht der Taschenlampe beobachten kann. Links und rechts des Hauses liegt der Busch und wir lernen, warum Western Australia auch als Wildblumenstaat bekannt ist. Lila Orchideen, kleine weisse Blümchen, die ihre Samen mit einem Katapult durch die Luft schleudern, gelbe Buttercups und eine Blüte, die Lilja Strubelkopf taufte, sind nur eine kleine Auswahl der Buschblumen ums Haus. Zwischen den vielen verschiedenen Grüntönen der Bäume leuchten die Blumen in allen Regenbogenfarben.
Endgültig ins Herz schliessen wir Sarah und Steve gegenseitig beim ersten Nachtessen. Wir verschlingen Pasta und feine Fruchtwähe, trinken gutes Bier und teilen Erzählungen aus dem Leben. Steven und Sarah sind beides studierte Biologen. Steve studierte auch noch Finanzen, ein Jahr davon in Basel. Sie wohnten deshalb ein Jahr in ,Freibörg' (Deutschland). Manchmal sei es dort sehr einsam gewesen, erzählt Steve, Kontakte hätten sich nicht einfach so ergeben. Von der deutschen Küche blieben ihnen besonders Bratwurst und Sauerkraut in Erinnerung.
Ihre Arbeit im Haus und ausserhalb teilen sich Sarah und Steve halbehalbe auf, was auch in Australien ungewöhnlich ist. Wir sprechen über Stevens Engagement für den Busch, seinen Job als Natuschutzverantwortlicher einer Vorortgemeinde. Unter dem Namen "Bushgardener" bietet er Kurse an, rund um das Thema Busch, ausserdem gräbt er Pflanzen aus, an von Bagger bedrohten Standorten. Um den Busch und die Pflanzen stehe es nämlich schlecht, sagt Steve, auch dank unsinniger Gesetze. Orchideen ausgraben sei verboten, aber alle Pflanzen auf dem Grundstück auszureissen zwecks eines reizenden englischen Rasens, kein Problem. Wir können natürlich die eine oder andere Anekdote von Schweizer Gesetzen beisteuern.
Das Gespräch wandert durch Politik, Gesellschaftskritik und Erziehung zu Länder und Leute. Ganz im Gegensatz zum Ruf, den die Aussies haben - nicht gerne Kritik an Australien zu hören, wenig ironischen Humor zu haben und sich nicht für andere Länder und Politik zu interessieren -, wissen unsere Gastgeber Bescheid über die Welt und ihre Zusammenhänge und manches kritisieren Sarah und Steven mit beissendem Witz. Im Spielzimmer bauten die Kinder unterdessen aus dem riesigen Legosack verschiedene Flugobjekte - ganz in alter Agasulmanier. Der Altersunterschied und die Sprache sind keine Barrieren und Ilias und Lilja freuten sich sehr, wieder einmal ein Zimmer voller Spielzeug zur Auswahl zu haben.
Die Vertrautheit bleibt und vertraut werden wir auch mit unseren täglichen Aufgaben. Schnell wird uns klar, dass Sarah und Steven sehr viel Arbeit und Projekte auf ihrem rund eine Hektare grossen Grundstück zu erledigen haben, zu denen sie selber nie kämen und dass sie deshalb jede Hilfe brauchen können.
Eines der ersten Projekte ist die Renovation des Hühnerstalls, der einen aus alten Backsteinen gefertigten Mosaikboden erhält. Wir ernten Früchte und stellen Cider her. Wir verwandeln Urwald in feinkörnige Saatbeetchen. Eine sehr befriedigende Aufgabe, denn der Vorher-Nachher- Effekt ist so schön dramatisch.
Was man von einer anden Aufgabe nicht behaupten kann. Laut Gesetz muss es um jedes australische Grundstück eine sogenannte Firebreak geben. Eine mindestens 3 Meter breite Schneise, die unbewachsen sein muss, falls mal ein Buschfeuer ausbricht. Ob der Nachbar gleich 2 Meter nebenan ebenfalls eine Firebreak hat, oder ob parallel dazu eine Strasse führt, die ebenfalls als Feuerbremse dienen könnte, das spielt keine Rolle. Die meisten Leute spritzen Gift, um die Pflanzen aus der Schneise zu entfernen. Sarah und Steven hingegen lassen uns alle Pflanzen ausgraben und an anderen Stellen wieder einpflanzen. Diese aufwändige Aufgabe hält uns viele Tage auf Trab.
Bei den Aborigines war es Tradition, den Busch alle 3 bis 4 Jahr abzubrennen. Das Dickicht wird gelichtet, junge Pflanzen können sich entwickeln und die Gefahr eines ausufernden Buschfeuers wird gebannt. Diese Tradition nutzen wir unter Stevens Anleitung, um gewisse Flächen von Unkraut zu befreien. Das Feuern ist ein Sonnenuntergangsjob. Wenn die Buschschatten langsam länger werden, helfen alle mit, das Feuer in die richtige Richtung zu lenken. Die Kinder braten Marshmellows. Manchmal stösst noch der Nachbar, ein professioneller Firefighter (Feuerwehrmann) zu uns, und beeindruckt uns mit seinen Videos von "richtigen" Feuern.
Unsere normalen Arbeitshalbtage dauern von ungefähr 8 bis 12 Uhr mittags. In dieser Zeit erledigen die Kinder einige Schulaufgaben, spielen und helfen auch im Garten. Der Frühling ist noch jung und manchmal frisch. So frisch, dass wir am Abend in unserem Zimmer hin und wieder das Öfeli anschalten.
Wir pflanzen Mais, Kürbis, Gurken, Zuchettis, Tomaten und Amaranth. Im Unterschied zur Schweiz gibt es in diesem Garten keine Winterpause. Irgendetwas kann man immer pflanzen und ernten. Mit Garette den steilen Hüge auf und ab, mit Schaufel und Hacke am Werke, die ersten paar Tage sind wir totmüde um die Mittagszeit, wenn Sarah oder Steven uns zum Lunch rufen.
Es tut gut sich zwischendurch auf einzelne gärtnerische Projekte zu konzentrieren und sonst Gast zu sein, ohne viel Verantwortung, mit einer feinen Mahzeit am Mittag und Abend. Selten denkt man sich vielleicht, dass man etwas anders machen würde, ein Projekt von einer anderen Seite anpacken müsste. Aber sofort sind wir wieder froh, nicht die Verantwortung zu tragen. Steven und Sarahs Tage sind gefüllt, mit Arbeit und Kindern, die noch mehr Betreuung brauchen als unsere schon ziemlich selbständige Bande. Wir erinnern uns gut an die Zeiten, als Windeln noch ein Thema waren :-) In die Hauseinrichtung hätten wir mehr Gemütlichkeit hineingesteckt, was man natürlich auch tun kann, wenn die Kinder mal grösser sind.
An den Nachmittagen und den Wochenenden bleibt uns wohlverdiente Freizeit. Wir besuchen die gut ausgerüstete Bibliothek, machen Spaziergänge durch die schönen Landschaften, baden im Meer, essen Fish und Chips, besuchen Perth und den Zoo oder kochen für alle ein feines Schweizer Menü. Wir nehmen uns Zeit, um unser neues Auto, einen Mitsubishi Pajero, zu kaufen und campingtauglich einzurichten.
Und immer wieder sitzen wir am Abend in der Wohnküche zum Essen, führen für Gespräche rund um den Erdball und zurück, fabulieren über eine Geschäftsidee mit Adelstiteln in der Innerschweiz, während unsere Kinder spielen oder einen Film schauen (sehr gutes Englischtraining ist ja beides)t, trinken einen Schluck feinen australischen Wein und sinken schliesslich zufrieden und erschöpft ins Bett. Der Monat bei Sarah und Steve vergeht wie im Flug, viel zu schnell ist die Zeit um und wir nehmen Abschied... bis auf Weiteres. Danke vilmal!