Durch die Ebene von Kolchis in den Kaukasus
Batumi war also phänomenal – aber ganz anders als der Rest Georgiens. So hatten wir es überall gelesen und gehört.
Neugierig auf das andere Georgien fuhren wir los und ja, über die schrecklichen Strassenverhältnisse waren wir auch informiert. Sie sind tatsächlich nicht so einfach. Ziemlich das Gegenteil der überdimensionierten türkischen Strassen jedenfalls. Eine georgische Strasse ist durchschnittlich so breit wie eine Schweizer Nebenstrasse etwa à la Saland - Sternenberg.
Schlaglöcher, Schwellen oder Engpässe tauchen unvermittelt auf. Ausserdem müssen die schmalen Verkehrswege geteilt werden: Mit Kühen, die gemütlich wiederkäuend mittendrin stehen und sich am liebsten in grossen Verbänden auf Brücken versammeln. Mit Pferden und Eseln, frei oder vor kleine Kutschen gespannt. Mit modernen Jeeps, die rücksichtslos jederzeit überholen, völlig egal, ob sie sehen, was ihnen entgegenkommt. Und mit alten Götschen, die vom nur noch vom Rost zusammengehalten werden.
Angeschrieben sind die Fahrtrichtungen in die nächsten Städte aber gut und zum Glück nicht nur auf georgisch, sondern praktisch überall auch mit lateinischen Buchstaben.
Unser erstes Ziel ist Kutaissi, die zweitgrösste Stadt Georgiens. Bei Cacha, einem fröhlichen Georgier um die 55, beziehen wir ein einfaches Zimmer mit vier Betten, lausig montierten Wasser- und Strominstallationen, aber gemülich wenn auch etwas grossmutterig. Als Willkommenstrunk serviert er uns Tschatscha (georgischen Schnaps) und Wein - alles pure Natur wie er betont. Der georgische Wein ist berühmt, auch das deutsche Wort Wein hat seinen Ursprung im georgischen Gvino.
Später am Abend schlendern wir durch das kleine Stadtzentrum Kutaisis und tauchen in den Gassen tiefer in die Athmosphäre ein. Viele einst schöne Jugendstilhäuser sind in verschiedenem Grad dem Verfall geweiht. Kleine windschiefe Häuser am Flussufer miefen nach Feuchtigkeit und Schimmel, sind aber weiter bewohnt – zumindest der unterste Stock.
Alle gefühlten 30 Meter gibt es einen Minimarket. Dazu bieten meist ältere Menschen als Strassehändler den Ertrag ihres Gartens und Selbstgesuchtes an: Pfirsiche, Äpfel, Kirschen, Brombeeren, Tomaten, Gurken, Eierschwämmli, eine grosse Auswahl an Kräutern, Blumen und Vieles mehr.
Die Restaurants bieten günstige und gute Mahlzeiten an. Aus selbst hergestellten Teigen entstehen knusprige Brote oder Khachapuris – Teigfladen mit Käse oder Fleisch, manchmal auch mit Ei. Auch hervorragende Pizzas backen die Georgier. Wir lernen die Khinkalis – georgische Riesenraviolis – mit verschiedenen Füllungen schätzen. Als Vorspeise gibt es Auberginen, Tomaten, Gurken, Pilze und anderes Gemüse wahlweise mit einer Wallnusspaste versehen, die sehr lecker schmeckt. Besonders machen die georgischen Mahlzeiten aber die vielen Kräuter, die Bündelweise zum Fleisch, zu den Kartoffel- und Pastavariationen gegeben werden.
Zu den Sehenswürdigkeiten: Die interessantesten und schönsten Dinge hat die Natur zu bieten. Ansonsten ist man sehr stolz auf die orthodoxen Klöster und Kirchen. Im ganzen Land zeigen braune Schilder den Weg noch zur kleinsten Kapelle. Bei Kutaisi besichtigten wir drei der berühmtesten und ältesten Exemplare.
Uns erscheint die orthodoxe Kirche streng und irgendwie dogmatisch. Aber die flächigen Gemälde in den Kirchen (David ist übrigens häufig abgebildet: als Georg der Drachentöter oder Dawit der Erbauer) sind uralt und beeindrucken durch ihre Schlichtheit, die Luft ist Weihrauch geschwängert und die Popen in langen schwarzen Gewändern und mit dicken Pferdeschwänzen sehen aus wie Wegelagerer, was die Besichtigungen zu etwas Ausserordentlichem macht – das sich dann irgenwann trotzdem zu wiederholen beginnt.
Die Bagrati Kathedrale thront über der Flussschleife, in der Kutaisi liegt und wurde erst kürzlich wieder aufgebaut.
Die Gelati Monastery ehrt David. Es wurde nämlich von Dawit dem Erbauer errichtet und gleichzeitig wurde König Georg (Davids 2. Name) hier beerdigt. Besonders ist Gelati darum, weil hier Dawit Georg hier eine Akademie errichten liess, die lange und weit ins Land ausstrahlte.
Das dritte Kloster Motsameta liegt spektakulär am Ende eines schmalen Bergrückens über dem Tskaltsitela River. Hier liegen die Gebeine der beiden Prinzen David und Constantine Mkheidze, die sich den Persern entgegenstellten und von diesen – nach einigen anderen qualvollen Todesarten – auch noch im Fluss versenkt wurden. Die beiden werden als Märtyrer verehrt, von einem Volk das gar manches Mal von Türken, Persern, Russen und Mongolen drangsaliert worden ist.
Für den Besuch von Kirchen und Klöstern muss man züchtig angezogen sein. Ansonsten gibt es eine Kellnerschürze und einen Schal zum (beinahe vollständigen) Umbinden von Waden und Haaren.
Auf Anraten Cachas fahren wir trotz wenig guter Wetterprognose von Kutaisi aus in den Nordwesten, nach Mestia. Und es erweist sich als super Tipp, Danke Cacha. Es lohnt sich auf jeden Fall, in Georgien auf gute Ratschläge zu hören.
Der Weg in den Westen des Grossen Kaukasus führt zuerst durch die grosse fruchtbare kolchische Tiefebene und dann langsam und kurvig in eine andere Welt. Erreicht man den gestauten Enguri River, so tut sich einem ein gebirgiges Panorama auf. Weiter führt die nicht über alle Zweifel erhabene Strasse entlang der Bergflanke, immer dem vom Regen stark angeschwollenen Fluss nach, durch unheimliche Tunnels immer weiter bis zu den hochalpinen Gipfeln um Mestia.
Das kleine Dorf überrascht, den die stattlichen Steinhäuser entlang der Hauptstrasse erinnern an ein Schweizer Bergdorf. Allesamt sind sie neu gebaut mit viel Geld vom Staat, der Obersvanetien nahe an Georgien binden will. Gleich nebenan liegt das abtrünnige Abchasien, das mit Russland verbündet ist. Auch die Anzahl der Touristen in Mestia überrascht uns, viele Russen und Israelis, aber auch Japaner, Chinesen und Inder plus vereinzelt ein paar Franzosen und Deutsche zieht im Sommer – und im Winter zum Skifahren und Heliskiing – in das Dorf, das neuerdings gar über einen kleinen Flughafen verfügt.
Fährt man vom kleinen Zentrum Mestias weg in eine Nebenstrasse, so ist man aber sofort wieder in Georgien: ungeteerte Strassen mit freilaufenden Hühnern und Schweinen, einfachere Häuser, meistens im Bau befindlich, Bauern, die ihr Heu traditionell auf grosse Mieten für den Winter beigen und viel bunte Wäsche, die an Leinen flattert. Dazu die traditionellen Steintürme, in die sich die Familien früher retteten, wenn wieder einmal Invasoren von Nord oder Süd nahten.
Frau Inga, unsere Gastgeberin, wohnt an einer dieser Nebenstrassen. Sie nimmt uns auf wie eine Mutter. Jeden Tag gibt es für die Kinder und Karin einen Kuss und kochen tut Frau Inga göttlich. Wir fühlen uns sehr wohl in ihrer Stube.
Das Wetter in den Bergen ist deutlich kühler und unbeständiger, am Abend erträgt man sogar ab und zu einen Pullover. Nach Stunden im Auto sind wir froh, uns bewegen zu können und Wandervögel zu sein. Zum Beispiel auf einer Wanderung zum etwa 700 Höhenmeter über dem Dorf gelegenen riesigen Kreuz. Oben angekommen sehen wir, dass die meisten Touristen sich mit 4-Rad-Antrieb den Hang hinaufchauffieren lassen und nur die etwa 50 Meter zur Aussichtsplattform zu Fuss zurücklegen. Unsere Wanderseelen sind empört, die Kinder sind eifersüchtig, aber sind wir alle auch ein wenig stolz.
Wir, die uns an den Ortstock, den Tödi und die anderen Glarner Spitzen gewöhnt sind, staunen ab dem hochalpinen Plateau, dass sich auf 2300 Metern vor unseren Augen auftut. Dahinter, nicht so weit entfernt aber (für uns) unerreichbar, trohnt der schneebedeckte Uschba, über 4700 Meter hoch.
Oberhalb der Baumgrenze bedecken Gras und Büschchen seine Flanken bis hoch hinauf wie ein lieblicher grüner Pelz. Kilometerlang fliesst rechterhand ein Gletscher bis weit ins Tal. Aber auch im Kaukasus sind die Gletscher in den letzten 40 Jahren mächtig geschrumpft, wie wir auf einer zweiten Wanderung feststellen. Die Marke aus den 70er-Jahren liegt bestimmt 800 Meter weg von seiner Zunge.
Der Kaukasus ist schroffer, wilder als die Schweizer Bergwelt. Und einen weiteren entscheidenden Unterschied gibt es: In der Schweiz hätte man fast jeder der vielen guten Aussichtsstellen eine Beiz gefunden. Hier treffen wir stattdessen auf die georgische Grenzwächter, ältere Männer die die nahe russische Grenze im Auge behalten und bei uns eine Zigarette schnorren.