Unterwegs zur Insel der alten Götter
Ein Gewitter am Orhidsee, der Mittelfinger der Halbinsel Chalchidiki und die wilde Insel Samothraki.
Von Tirana aus steuerten wir den Toyota-Corolla-Silberpfeil durch ein langes Tal und über einen kleinen Pass nach dem Ohridsee.
In Pogradec verbrachte der albanische Diktator Enver Hoxha jeweils die Sommermonate, mit Blick auf das mazedonische Ufer des Sees, der einer der ältesten der Erde ist. Am Ufer picknickten wir und lernten Sefir kennen, einen knapp 40-jährigen Mann, der sehr gut Deutsch spricht und uns auf einem Spaziergang Richtung Grenze einiges über sein Leben und Land erzählte.
Chaotisch sei der Übergang von Hoxha in die Marktwirtschaft verlaufen. Der Umsturz habe einigen wenigen mit Macht viel Gewinn gebracht und vielen anderen das Wenige genommen was sie hatten. Schon einige Male war Servir in Österreich, wo er Schwarzarbeit fand, als Möbelpacker und Bauhandlanger. "In der Schweiz war das nicht möglich, da braucht es Papiere", erzählte er. Österreich sei da besser ;-).
Aktuell aber sei es schwierig im Ausland Arbeit zu finden, sagte Sefir, ausserdem habe er einen kranken Vater, den er im Spital pflegen müsse. Weil quer durch das Grundstück, auf dem das Haus seiner Familie steht, die neue Hauptstrasse gebaut wird, kämpft Sefir um eine Entschädigung. Doch die Aussichten sind mies. Wer nicht die richtigen Leute kennt und in der richtigen Partei sei, der habe kaum Aussichten darauf Recht zu erhalten. Sowieso gebe es eine grosse Unsicherheit, was Grundstücke anbelange. Anspruch stellten die Besitzer vor dem zweiten Weltkrieg, dann diejenigen aus der Zeit der Herrschaft Hoxhas und in der Zeit danach galt der Grundsatz: Nimm was du kannst.
Obwohl knapp bei Kasse lud uns Sefir zu einem Getränk ein – und wir ihn dann auch. Geld für seine Führung und Erklärungen mochte er keines annehmen, im Gegenteil reagierte er gekränkt, als wir es versuchten. Darum an dieser Stelle: Herzlichen Dank Sefir für Deine Zeit.
Weil im nahen Wasserkraftwerk ein Transformator ersetzt werden musste und der Umbau nicht rund lief, blieb während unserem Aufenthalt die ganze Region ohne Strom. Restaurants ohne Gasherd blieben kalt. Zum Glück konnten wir auf unseren Benzinkocher zählen. Auch am anderen Morgen war die Reparatur nicht fertig. Zwar habe es in der Nacht einige Stunden Strom gegeben, erzählte uns der Campingplatzbesitzer. Er zuckte aber bloss mit den Achseln, als wir ihn fragten, bis wann der Unterbruch dauern werde.
In der Nacht war ein Gewitter aufgezogen und bis am Morgen stieg das Wasser von unten in unser Zelt. Ohne Aussicht auf Besserung packten wir unsere Bagage und entschieden uns, in Richtung Griechenland aufzubrechen.
Via das griechische Mazedonien, das Stammland von Alexander dem Grossen, und die von seinem Vater Philipp gegründete Hauptstadt Pella, zog es uns auf die Halbinsel Chalchidiki, wo uns der Campingplatz Stavros von einer früheren Reise in guter Erinnerung geblieben war.
Tatsächlich war der von einer Familie seit 40 Jahren betriebene Platz derselbe schöne Ort mit Sandstrand, kleinem Restaurant, freundlichem Personal – und einem grossen Fernseher für die Spiele der Fussballeuropameisterschaft. Ein Schwumm im Meer am frühen Morgen nach einer Joggingrunde entlang der felsigen Küste, ein wenig Unterricht für die Kinder, Lesen und Schreiben, Schnorcheln, Fussball schauen, ein feines Essen kochen oder serviert bekommen... was will man mehr...
Allerdings: Inmitten von Dauercampern und Wohnmobilen entsteht mit der Zeit das Gefühl in einem Einfamilienhausquartier in der Schweiz zu Hause zu sein. Stets dieselben Männer und Frauen tun stets dasselbe: Schwimmen, Trinken, Rauchen, Essen, Reden, Fernsehen. Da bräuchte es schnell fast eine reguläre Arbeit, um die ewige Wiederholung zu durchbrechen... Wir standen also quasi still und das kann ja nicht das Motto einer Weltreise sein. Zum Glück lernten wir eine bulgarische Familie kennen, die mit Auto und Zelt und zwei kleinen Kindern ähnlich unkompliziert unterwegs war wie wir. Trotzdem ging uns der Campingplatz – den wir für einige Tage zum Zwecke der Erholung sehr empfehlen können – irgendwann auf den Geist. Man könnte auch sagen: Wir waren erholt genug und weil selbst die Fussballspiele mehr und mehr Wiederholungen glichen, war irgendwann Zeit für einen Aufbruch.
Samothraki rief uns, die Insel der Götter, der griechischen und vorgriechischen. Von Alexandropolis erreicht man das rund 160 Quadratkilometer grosse Eiland? vor der thrakischen Küste mit der Fähre innert zwei Stunden. Scharf kalkuliert erreichten wir das Schiff just einige Minuten vor der Abfahrt. Auf der Hinfahrt, und auf der Rückfahrt übrigens auch, begleitete eine Gruppe von Delfinen das alte, immer wieder neu gestrichene Schiff – wir nahmen es als gutes Omen.
Wer eine Reise nach Griecheland plant, sollte Samothraki unbedingt als Ziel ins Auge fassen. Okey, exklusive Hotels und weisse Sandstrände gibt's da nicht. Wer aber einige Tage als Robinson verbringen möchte, dem sei die Insel in den Monaten Mai und Juni sehr empfohlen. Zelten unter riesigen alten Bäumen, anstrengende Wanderungen, baden in und unter Wasserfällen in Bergbächen, den Blick schweifen lassen bis nach Troja, liegen an steinigen Küsten mit viel Holz zum Grillen und Basteln, Nachtessen direkt am Meer, laue Nächte unterm Sternenhimmel mit mehr oder weniger vollem Mond, Konzerte von Zikaden und Glockenfröschen, streiten im stürmischen heissen Wind, Autofahren mit offenen Fenstern und türkischer Musik auf einer schmalen Strasse direkt an der Küste, kämpfen mit kratzigen Büschen auf Hügelndie sonst alleine den Geissen gehören, ein Blumenstrauss niederlegen, wo schon Thebaner, Athener, Thraker und Makedonen den Göttern opferten... all das behalten wir von der kleinen Insel in Erinnerung.
Der Campingplatz auf der Nordseite ist einfach, aber Gratis. In der kleinen Taverne bäckt ein Mann aus Milano Pizzas, der vor fast zwanzig Jahren auf die Insel kam und nie mehr ging. Vom Festland kommt die Jugend mit dem Motorroller für ein paar freie Tage, oder vielmehr Nächte. Wer kann bleibt den ganzen Sommer über und baut Laubhütten am Strand. Gebadet wird mehrheitlich nackt und überhaupt schert sich niemand darum, was der andere für richtig hält.
So locker und leicht wie auf der Hippie-Insel Samothraki schien uns das Leben bisher nirgendwo. Einziger Vorbehalt: Im Juli und August soll es recht voll werden. Vielleicht ist es dann wie überall am Mittelmeer, wo sich die Touristen auf den Füssen stehen. Wir glauben das nicht, jedenfalls nicht, wenn man auch ein wenig zu Fuss unterwegs ist und einige hundert Höhenmeter nicht scheut. Berichten können wir darüber aber nicht. Wir waren im Juni da.